Unzählige Menschen hatten ihr Zuhause
inzwischen in der Wollankstraße. Die ganz große Geschichte wurde hier zwar
nicht geschrieben, aber es gibt doch allerhand Interessantes und
Mitteilungswertes über diese alte Straße und manch ihrer Bewohner zu erzählen,
denn schließlich gibt es diese Straße schon seit rund 300 Jahren.
Meine erste Begegnung mit der
Wollankstraße hatte ich im Jahre 1970. Glücklich und mit einer
Wohnungszuweisung der Kommunalen Wohnungsverwaltung in der Hand, suchte ich als
„Zugereister“ unsere erste Wohnung in der Wollankstraße Nr. 20. Mir war die
Wohnlage als solide und ruhig beschrieben worden, und so dachte ich an eine
kleinere verträumte und begrünte Pankower Straße abseits vom Lärm der
Hauptstraßen, wie es schließlich viele gibt. Doch wie erschrak ich, als ich vom
Pankower Rathaus kommend, plötzlich ziemlich blanke Schienen im
Kopfsteinpflaster entdeckte. Ich dachte sofort an quietschende Straßenbahnen
und an eine stark befahrende Hauptstraße.
Damals wusste ich nicht, dass sie es
einmal war und erst recht nicht, dass sie es wieder werden sollte. 1970
jedenfalls hielt sich der Straßenverkehr in Grenzen, viele stattliche Bäume
gaben der Straße einen wohnlichen Charakter, und so suchte ich erst einmal die
Nummer 20.
Die Straßennummerierung begann vorn
rechts mit der Nummer 1. Ich tastete mich langsam vor und bemerkte erst jetzt,
dass ich mich in einer sogenannten „Mauerstraße“ befand. In der Provinz kannte
man „Die Berliner Mauer“ mehr als Synonym für die deutsche Teilung, z.B. am
Brandenburger Tor. Doch der konkrete Verlauf durch Berlin war weniger genau
bekannt. Aber die Unkenntnis kann noch viel schlimmer sein: Mitte der 70er
Jahre hatten wir Austauschstudenten aus Moskau zu Besuch in der Wollankstraße.
Als sie die Mauer sahen, fragten sie uns, welche westdeutsche Stadt dahinter
liegt - Hamburg oder so ?
Da die Nummer 20 hinter der
Florastraße, in die alle Autos einbogen, lag, fand ich die Zusage einer ruhigen
Wohnlage bestätigt. Zum Glück lag das Haus aber nicht im unmittelbaren
Grenzgebiet, denn sonst hätten wir spontan keine Besucher empfangen dürfen.
Aber eine spätere Bekannte, die im Grenzgebiet in der Brehmestraße wohnte, fand
das recht praktisch, denn sie brauchte nie ihre Wohnung aufräumen. Besuch
musste sich schließlich erst eine staatliche Genehmigung holen.
Dadurch hatte sie dann genug Zeit, die Wohnung für einen Besuchsempfang
herzurichten.
Und so begegnete ich den ersten echten
Berliner Wollankstraßenbewohnern. Das Haus Nr. 20 befand sich immer noch in
Privatbesitz; es gehörte der Erbengemeinschaft des früheren Eierhändlers Max
Preetz. Nach dem Einzug in die Wohnung erfuhren wir, dass unser verwitweter
Vormieter, beruflich ein offizieller Vertreter des DDR-Rechts, sehr plötzlich verstorben war. Bei der Beräumung
seiner Wohnung fand man auf einem selbst gebauten Hängeboden (den wir später
auch gern benutzten), eine ganze Hinterlassenschaft aus dem III. Reich,
einschließlich eines großen gerahmten Hitler-Bildes.
So vermischen sich in der
Wollankstraße, wie wohl überall in einer Stadt, Alltagsgeschichten, die
vergessen werden, mit interessanteren Begebenheiten, die da und dort dann auch
aufgeschrieben wurden.
Willy Manns